Fridays for Future: Vision impossible?
15. Mai 2020Klimaschutz trotz Corona-Krise
In der Klimadebatte sind sie kaum noch wegzudenken. Die junge Bewegung „Fridays for Future“ demonstriert seit 2018 für mehr Engagement in Sachen Klimaschutz und setzt das politische Establishment gehörig unter Druck.
Bereits im März 2019 gingen weltweit mehr als 1 Millionen Menschen für das Klima auf die Straße. Einer der jungen Aktivisten ist Linus Steinmetz. Wir haben mit ihm über die Verantwortung von Unternehmen in der Klimakrise, seine Enttäuschung über die deutsche Politik und die Nähe zur Parteilichkeit von Fridays for Future gesprochen.
Hallo Linus, vielen Dank, dass Du heute Zeit für uns gefunden hast. Du warst schon letztes Jahr bei uns, als Podiumsteilnehmer bei der 12. Brüsseler Mittwochsgesellschaft (Wednesday Social). Da ging es um das Thema Klimawandel und welche Verantwortung Unternehmen tragen müssen. Du selbst bist Vertreter der Fridays for Future Bewegung. Rückblickend betrachtet: Hat Euch der Abend in Brüssel bei der Erreichung Eurer Ziele weitergeholfen?
Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass wir als Bewegung immer einen sehr großen Vorteil aus solchen Veranstaltungen ziehen können, weil wir genau diese Bühne brauchen, um unsere Inhalte zu vermitteln. Das ist besonders wichtig in Städten wie Berlin oder Brüssel, wo Wirtschaft, Politik und wir als Zivilgesellschaft zusammenkommen. An dem Abend in Brüssel konnten wir unter anderem ganz konkret über Gasprojekte der Europäischen Kommission diskutieren und haben so deutlich gemacht, inwieweit da Verantwortung gegen neue fossile Energien ergriffen werden muss. Wir glauben, dass wir durch unsere Präsenz bei verschiedenen Veranstaltungen einen Einfluss auf politische Prozesse nehmen können. Natürlich haben wir auch ein Interesse daran mit verschiedenen Unternehmen, die unsere Positionen unterstützen gemeinsame Projekte anzustoßen.
Das heißt: Auch Unternehmen können Euch eine Plattform für Eure Botschaften bieten?
Ja, genau. Der direkte Austausch, den man bei solchen Formaten führen kann, geht über eine klassische Demonstration hinaus. So können wir konkret erklären, was uns derzeit wichtig ist und was Politik und Wirtschaft konkret tun müssen, ohne dabei in eine direkte Konfrontation zu gehen, wie dies bei einer Demonstration der Fall wäre. Wir stoßen oftmals auf offene Ohren.
Seit der Veranstaltung in Brüssel im Herbst 2019 ist wahnsinnig viel passiert: Der European Green Deal wurde angekündigt, das Wirtschaftsforum in Davos war dem Klimathema gewidmet und auch sonst liest man fast jeden Tag etwas zu diesem Thema in verschiedenen Medien. Ist diese Form der Klima-Debatte für Dich ein Schritt in die richtige Richtung oder ist die Situation nach wie vor die gleiche und es wird lediglich mehr darüber gesprochen, aber immer noch zu wenig getan?
Auf der einen Seite ist es tatsächlich ein riesiger Erfolg, dass, seitdem wir als Bewegung angefangen haben, sich im gesellschaftlichen Diskurs unglaublich viel verändert hat. Auf der anderen Seite sehen wir jedoch, dass, sobald es um die konkrete Umsetzung bei Unternehmen als auch in der Politik und in Gesetzgebungsverfahren geht, konkrete Schritte fehlen und auch einfach nicht gegangen werden.
Natürlich ist es positiv, dass selbst das Wirtschaftsforum in Davos über die Auswirkungen des Klimawandels redet. Jedoch bringt es uns nichts, wenn sich dann niemand auf verbindliche Maßnahmen einigen will. Das ist für uns wirklich enttäuschend und dasselbe gilt auch innerhalb der Europäischen Union. Wir sehen zwar, dass es in die richtige Richtung geht, aber erst gestern wurde verkündet, dass erneut Infrastrukturprojekte für Öl und Gas im Wert von ca. 30 Milliarden Euro vom Europäischen Parlament gebilligt wurden. In solchen Momenten denke ich: Die Diskrepanz zwischen dem, was gesellschaftlich gefordert wird und dem, was von Politik und Wirtschaft umgesetzt wird, ist enorm!
Trotzdem: Die Politik argumentiert, dass sie sich Schritt für Schritt in die richtige Richtung bewegt. In Deutschland wurde erst kürzlich das Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht, auch wenn die Position von Euch klar sagt, dass dies immer noch nicht ausreicht. Seht Ihr einen guten Willen bei der Politik?
Wir müssen zwischen deutscher und europäischer Politik unterscheiden. Auf europäischer Ebene ist es tatsächlich so, dass wir Politiker wie EU-Kommissar Frans Timmermans haben, die ernsthaft an Klimaschutz interessiert sind und sich für einen positiven Wandel einsetzen. Solchen Leuten kaufe ich es ab, dass sie Klimaschutz betreiben wollen und das macht mir Mut. Diese Politiker haben dann auch keine Angst, deutlich zu machen, dass wir mit den derzeitigen Maßnahmen nicht unser Ziel erreichen werden, unterhalb der 1,5C°-Grenze zu bleiben. Diese Zielerreichung ist aber eine physikalische Notwendigkeit, da die Szenarien ab einer Erderwärmung von 2C° oder mehr nahezu apokalyptisch wären.
In Deutschland ist das eine andere Geschichte. Ich kaufe unserer Großen Koalition ihre wohlmeinende Art bezogen auf den Klimaschutz nicht ab. Es fehlt an Authentizität, um zu glauben, dass sie wirklich Klimaschutz aktiv gestalten wollen. Da wünsche ich mir einen grundlegenden Wandel in der deutschen Politik.
Woran machst Du diese Unterschiede genau fest?
An unserer Verkehrspolitik, zum Beispiel. Seit zwölf Jahren wurde eine dringend notwendige Verkehrswende nicht erreicht. Die Bahn wurde lange nicht ausreichend gefördert. Trotzdem hat sich im Verkehrsministerium nichts geändert.
Zweitens können wir seit Verabschiedung des Klimapakets beobachten, dass keine weiteren Maßnahmen getroffen wurden, um den Klimaschutz proaktiv umzusetzen. Vielmehr sind mehrere Trends in die andere Richtung weg vom Klimaschutz zu beobachten. Beispiel hierfür wäre das Kohleausstiegsgesetz. Derzeit akzeptiert die Bundesregierung, dass ein neues Kohlekraftwerk in Deutschland 2020 ans Netz gehen wird. Da ist das komplette Gegenteil von dem, was wir als Bewegung fordern. Wir wollen endlich raus aus der Kohle!
Aber laut des Bundesumweltministeriums soll das Kohlekraftwerk so effizient sein wie zwei alte Kohlekraftwerk. Wie seht Ihr das?
Die Rechnung des Bundesumweltministeriums geht aus unserer Sicht nicht auf. Allein die Symbolwirkung eines neuen Kohlekraftwerks in Zeiten des Klimawandels auf der internationalen Bühne hat eine enorm schwerwiegende Tragweite. Wenn wir wollen, dass China und Indien aus der Kohle aussteigen, dann müssen wir klare Zeichen setzen und eine einheitliche Position beziehen. Der Bau des neuen Kohlekraftwerks ist gerichtlich noch nicht komplett abgesegnet, aber schon jetzt ist klar, dass der Konzern, der dieses neue Kohlekraftwerk bauen lässt, Ausgleichszahlungen erhalten wird, sobald das Kohlekraftwerk nach ein paar Jahren wieder vom Netz geht. Das ist völlig absurd, da das Kohlekraftwerk nur wenige Jahre am Netz sein wird, der Konzern aber einen enorm hohen Profit aus diesem Projekt für sich schlagen kann und dies zu Lasten der Umwelt und des Klimas geschieht. Für die Gesellschaft ist das ein Schritt in die komplett falsche Richtung. Die Akteure der Umweltbewegungen und verschiedener NGOs, die im Kohlekompromiss mitverhandelt haben, haben immer wieder betont, dass der Anschluss eines neuen Kohlekraftwerks ans Netz, absolut inakzeptabel ist. Daraufhin gab es ein implizites Versprechen seitens der Bundesregierung. Jetzt müssen wir verfolgen, wie die Bundesregierung dieses Versprechen bricht. Hier wollen wir klare Kante zeigen und deutlich machen: so nicht!
Die Politik ist ein wichtiger Akteur, aber auch die Wirtschaft ist in der Pflicht, Dinge zu verändern. METRO beispielsweise ist als Konzern weltweit aktiv und allein in 15-EU-Ländern vertreten. Was können Unternehmen wie METRO Eurer Meinung nach tun, wenn es um die Klimakrise geht?
In Zeiten, in denen die Bundesregierung nicht die richtigen Maßnahmen zugunsten des Klimaschutzes trifft, ist es unabdingbar, dass Unternehmen eine aktive Rolle und Verantwortung im Klimaschutz übernehmen. Das heißt nicht, dass Unternehmen nicht weiter wirtschaftlich erfolgreich sein können oder sollen.
Klar ist aber auch, dass das Gemeinwohl eine wichtige Säule der Gesellschaft darstellt und dazu gehört auch das Klima. Wir fordern, dass Unternehmen das Gemeinwohl und somit auch den Schutz des Klimas aktiv in ihre Entscheidungsprozesse miteinbeziehen, und zukünftig anderen Herangehensweisen für globale Probleme in Betracht ziehen. Fragen, wie zum Beispiel, „Wie steht es derzeit um unsere Nachhaltigkeit? Wie wird das Gemeinwohl beeinträchtigt, wenn wir falsch handeln?“, spielen dann eine viel größere Rolle.
Es gibt leider immer noch zu viele Unternehmen, denen die Tragweite ihrer klimapolitischen Entscheidungen nicht klar oder ihnen schlichtweg egal ist. Eine positive Entwicklung ist bei Unternehmen zu erkennen, die sich selbst der Klimaneutralität bis zu einem bestimmten Jahr als Ziel verschrieben haben, auch wenn diese Unternehmen gesetzlich dazu gar nicht verpflichtet wären.
Wie würdet Ihr die Beziehung und Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaft und Fridays for Future beschreiben?
Generell bin ich der Auffassung, dass es relativ normal ist, als Klimabewegung grundsätzlich der Wirtschaft skeptisch gegenüber zu stehen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass ein konstruktiver Dialog zwischen der Wirtschaft und uns möglich ist, weil wir alle gesellschaftlichen Akteure in der Klimafrage miteinbeziehen müssen, da uns das Klima alle betrifft.
Wirtschaftsvertreter und Unternehmen sollten genauso zum Stopp der Klimakrise beitragen wie wir es auch tun. Aus diesem Grund suchen wir aktiv den Dialog. Die Klimabewegung der 1980er und 90er Jahre ist nicht vergleichbar mit unserer heutigen Klimabewegung. Wir zeigen deutlich mehr Pragmatismus, trotzdem dürfen und werden wir nicht inhaltlich von unseren Forderungen abweichen. Das 1,5C°-Ziel sowie das Einhalten des Pariser Klimaabkommens bleiben für uns zentral im Mittelpunkt. Meine bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Unternehmen zum Wandel bereit sind. Aus ökonomischer Sicht ergibt es sehr viel mehr Sinn, Klimaschutz zu betreiben und dementsprechend in Technologien zu investieren, als dies nicht zu tun. Der Aspekt der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und Umwelt sollte eigentlich alle Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit bewegen.
Du bist bei Fridays for Future ehrenamtlich tätig. Was sind für Dich Momente, welche ganz besonders frustrierend sind und was sind Highlights, die Dich immer wieder neu motivieren, weiterzumachen?
Für mich ist Fridays for Future voller Kontraste. Einerseits sind wir unglaublich viele junge Menschen und haben unglaublich viel Energie, um uns für das einzusetzen, was uns jungen Menschen wirklich am Herzen liegt. Allein das finde ich sehr motivierend. Es ist erstaunlich zu sehen, wie 16-Jährige monatelang einen Sommerkongress planen oder unfassbar große Demonstrationen initiieren. Der negative Kontrast dazu ist für mich, dass die Bundesregierung nach wie vor viel zu wenig tut, und die doch so lautstarken Forderungen der Gesellschaft ignoriert und entgegen dem handelt, was wir uns für unsere Zukunft wünschen.
Wie steht Ihr als Bewegung Fridays for Future zu der Nähe zu Parteien? Orientiert Ihr Euch an den Strukturen, die man in Parteien vorfindet oder seht Ihr in genau diesen Strukturen die eigentlichen Probleme unseres politischen Systems?
Wir versuchen eine sehr politische Bewegung zu sein, aber trotzdem versuchen wir, so wenig wie möglich parteipolitisch zu agieren. Der Grund hierfür ist unser eigener Grundsatz: Wir wollen maximal inklusiv sein. Wir sind der Meinung, dass es nicht ausreicht, wenn sich nur eine oder zwei Parteien im Bundestag Klimaschutz auf die Fahne schreiben. Dieses Thema ist so viel größer als jede Partei. Wir brauchen einen gemeingesellschaftlichen Konsensdarüber, dass Klimaschutz dringend erforderlich ist. Mit dieser Botschaft sprechen wir alle an. Dann ist es egal, ob man Linke-, Grüne-, oder CDU-Wähler ist. Wir sagen ganz klar: Die eigene politische Ideologie ist nicht von Interesse. Wir wollen, dass sich jeder für Klimaschutz interessiert und wir von Fridays for Future nehmen euch mit. Wenn es jedoch darum geht, den politischen Prozess zu beeinflussen, haben wir natürlich auch direkte Gespräche zu einzelnen Parteien und deren Vertretern.
Vielen Dank für das spannende und aufschlussreiche Gespräch.