„Diese Liebe zur Gastronomie geht nie verloren.“

16. Januar 2019
Im Einsatz für Kunden - im Einsatz für Wähler: Unternehmer & Politiker

Interview mit Josephine Ortleb, Fachwirtin im Gastgewerbe und SPD-Bundestagsabgeordnete

MdB Ortleb Rede

Josephine Ortleb gehört zu den neuen Gesichtern im Deutschen Bundestag und sie bringt gleich zwei seltene Erfahrungen mit. Der 31-jährigen gelang der Sprung ins Bundesparlament durch ein Direktmandat. Für die SPD gewann sie 2017 gegen einen erfahrenen CDU-Mann den Wahlkreis Saarbrücken. Die zweite Besonderheit ist, dass mit Josephine Ortleb keine typische Berufspolitikerin in den Bundestag einzog. Sie absolvierte 2014 die Prüfung zur Fachwirtin im Gastgewerbe als Jahrgangsbeste und arbeitete Hand in Hand mit ihren Eltern im familieneigenen Restaurant „Tomate 2“, bevor das politische Engagement eine immer wichtigere Rolle spielte. Nun pendelt die junge Bundestagsabgeordnete zwischen Berlin und ihrem Wahlkreis im Saarland, setzt sich ein für einen sozialen Arbeitsmarkt, Teilhabe, Chancengleichheit und Frauenrechte. Doch noch immer schlagen zwei Herzen in ihrer Brust: eines für die Politik und eines für die Gastronomie.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Gastronomie?

Wenn ich an Gastronomie denke, merke ich, wie mein Herz aufgeht. Ich habe diesen Beruf gelernt und er hat mir wahnsinnig Spaß gemacht, weil er mit Menschen zu tun hat, weil die Dienstleistungen mit Menschen zu tun haben. Das prägt einen auch, wenn man selbst Gast in der Gastronomie ist. Man hat einen ganz anderen Blick auf Arbeitsabläufe, darauf wie Läden organisiert sind. Ich kann mir vorstellen, dass Gastronom*innen selbst schwierige Gäste sind.

Wenn ich an Gastronomie denke, merke ich, wie mein Herz aufgeht.

Wann haben Sie angefangen, sich politisch zu engagieren und aus welchem Impuls heraus?

Ich habe relativ früh angefangen mich politisch zu engagieren und zwar aus dem Impuls heraus, dass ich für eine offene, freie und tolerante Gesellschaft kämpfen wollte. Ich hatte früher bunte Haare und wenn ich in der Stadt unterwegs war, habe ich oft gemerkt, dass ich dadurch anders behandelt wurde. Da habe ich gedacht, oh je, ich will nicht in einer Gesellschaft leben, wo Aussehen, Herkunft, Sexualität darüber entscheidet, wie man behandelt wird. Ich will in einer Gesellschaft leben, in der alle die gleichen Chancen und die gleiche Teilhabe haben. Und dann war klar, um etwas verändern zu wollen, muss ich mich aber auch politisch engagieren.

Welche Einfluss haben diese politischen Werte, Überzeugungen in Ihrem Arbeitsleben gehabt?

Wenn man diese Werte für sich definiert hat, dann macht es keinen Unterschied, ob man jetzt im Beruf unterwegs ist oder in der Politik. Die eigene Haltung vertritt man natürlich ja immer. Als ich mich mit dem Beginn der Ausbildung in der Gastronomie entschieden habe, diesen Beruf auszuüben, habe ich auch damit begonnen, dafür zu kämpfen, dass die Arbeitsbedingungen in der Gastronomie besser werden. Ich bin zum Beispiel direkt in die Gewerkschaft eingetreten, weil das für mich die logische Konsequenz aus meinem politischen Handeln war.

Ausschlaggebend ist gewesen, was ich in der Gastronomie gelernt habe. Nämlich der Umgang mit Menschen, der respektvolle Umgang, aber auch der authentische Umgang mit ganz vielen unterschiedlichen Menschen.

Wann haben Sie sich dann für den Weg in die Politik entschieden und warum?

Oft ist es bei politischen Wegen auch eine Frage der richtigen Zeit am richtigen Ort, denn politische Karrieren sind nicht wirklich planbar. Ich habe mich mit sehr viel Zeitaufwand, mit großem Engagement politisch engagiert: Ich bin in jungen Jahren in die SPD eingetreten und habe sehr stark Verantwortung bei den Jusos in der Stadt, im Kreis und auf der Landesebene und bei den sozialdemokratischen Frauen übernommen. Als es dann um die Frage ging, ein hauptamtliches Mandat zu übernehmen, mich also voll und ganz der Politik zu verschreiben, habe ich die Herausforderung für mich angenommen. Es gab 2017 die Möglichkeit im Wahlkreis Saarbrücken, wo eine langjährige Abgeordnete aufgehört hat, als Direktkandidatin für den Bundestag anzutreten. Und das habe ich gemacht, denn es war die logische Konsequenz aus meinem politischen Handeln, aus meinem politischen Engagement.

Sie haben das Direktmandat gewonnen, was außergewöhnlich für diesen Wahlkreis war. Was, glauben Sie, ist ausschlaggebend gewesen?

Ausschlaggebend ist gewesen, was ich in der Gastronomie gelernt habe. Nämlich der Umgang mit Menschen, der respektvolle Umgang, aber auch der authentische Umgang mit ganz vielen unterschiedlichen Menschen. Ich war im Wahlkampf wahnsinnig viel unterwegs, habe sehr, sehr viele Menschen getroffen, habe mit ihnen gesprochen, habe mir angehört, wo ihre Sorgen und Nöte sind und die Menschen haben gemerkt, dass ich es ernst meine. Das war, glaube ich, der maßgebliche Grund, dass viele Menschen sich dann entschieden haben, einer jungen Frau, die noch nicht so im Politikbetrieb verankert ist, ihre Stimme zu geben. Ich bin froh, dass wir immer unterwegs, dass wir immer vor Ort waren und dass ich mit vielen Menschen in Kontakt gekommen bin. Am Ende hat das zu diesem Erfolg geführt, der auch für uns nicht zu erwarten war.

Wenn man diese Werte für sich definiert hat, dann macht es keinen Unterschied, ob man jetzt im Beruf unterwegs ist oder in der Politik.

MdB Ortleb Gastronomie

Sie haben den Umgang mit Menschen angesprochen. Welche anderen Fähigkeiten aus Ihrer beruflichen Praxis helfen Ihnen gerade auch im Berliner Politikbetrieb?

Da gibt es tatsächlich einige Dinge, die meinen Arbeitsalltag hier leichter machen. Dass es zum Beispiel selbstverständlich ist, auch am Wochenende zu arbeiten. Wichtig in der Gastronomie ist auch, dass man sich und Arbeitsabläufe strukturieren und organisieren kann, das muss eben einfach alles sitzen. Das lernt man natürlich in der gastronomischen Ausbildung und wendet es im Arbeitsalltag täglich an. Und wenn es darum geht, vor Ort Veranstaltungen zu organisieren, habe ich auch da einen anderen Blick drauf, weil ich das einfach beruflich sehr lange gemacht habe.

Haben Sie durch Ihre berufliche Laufbahn eine andere Herangehensweise an Politik? Bräuchte der Politikbetrieb viel mehr Menschen, die „mit den Händen“ gearbeitet haben?

Wir haben in Deutschland eine repräsentative Demokratie und das heißt für mich, dass wir aus allen Gesellschaftsschichten und am besten aus allen Berufen Menschen haben, die hier im Deutschen Bundestag oder in den Landesparlamenten sitzen. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese verschiedenen Perspektiven unheimlich wichtig sind. Ob das jetzt etwas damit zu tun hat, dass man mit seinen eigenen Händen gearbeitet hat oder nicht, weiß ich nicht, aber man hat eine andere Perspektive. Das ist vollkommen klar. Wenn man lange studiert hat, wenn man in einem juristischen Beruf gearbeitet hat, hat man einen anderen Lebenslauf als ich, die nach dem Abitur eine Ausbildung gemacht hat. Und gerade das Thema Ausbildung ist ein wichtiges Thema für uns in Deutschland. Wir sind wahnsinnig stolz auf unsere duale Ausbildung und da brauchen wir dringend Menschen, die den Weg selbst gegangen sind, um diese duale Ausbildung auch wirklich für die Zukunft aufzustellen.

Auch in vielen anderen Bereichen ist dieser Perspektivwechsel wichtig. Darum bin ich der Meinung, dass wir ganz stark in unserer Demokratie darauf achten sollten, dass alle Berufe vertreten sind, alle Lebenswirklichkeiten. Das gilt auch bei dem Thema, dass viel mehr Männer als Frauen im Bundestag sitzen. Denn wenn es darauf ankommt, wer entscheidet, entscheiden mehrheitlich Männer über Themen, die mehrheitlich Frauen betreffen oder es entscheiden mehrheitlich Juristen, wenn es um klassische Arbeitnehmerthemen geht. Wir müssen ganz vielfältig sein, damit wir wirklich gute Politik machen können. Dazu gehört für mich auf der anderen Seite auch die Vielfalt und Diversität in Unternehmen.

Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, müssen Politik und Wirtschaft zusammen aktiv sein.

Sehen Sie sich als Mittlerin zwischen den Welten? Wenn Sie nach Hause kommen, ihre Mutter hat noch das Restaurant in Saarbrücken und man kennt sich ja in der Gastronomie-Szene, werden da Fragen und Probleme an Sie herangetragen?

Mittlerin zwischen den Welten ist man als direktgewählte Abgeordnete eigentlich immer und überall. Es geht ganz oft darum, politische Entscheidungswege zu erklären. Was ich, zumindest da, wo ich herkomme, als positiv wahrnehme ist, dass es eine große Solidarität innerhalb der Gastronomie gibt. Sie haben alle die gleichen Rahmenbedingungen und gerade die kleineren, mittelständigen gastronomischen Betriebe, die auch inhabergeführt sind, haben alle die gleichen Probleme. Sie müssen sieben Tage die Woche 24 Stunden lang arbeiten, sie wissen nie so genau, ob der Betrieb stabil bleibt. Was sagt man so schön über die Selbstständigkeit, selbst und ständig unterwegs zu sein. Diese große Solidarität habe ich auch im Wahlkampf gespürt, das muss ich ausdrücklich sagen. Und natürlich wird mir da auch mitgegeben, wo die politischen Probleme liegen.

Was sind momentan die größten Probleme der Gastronomie?

Einer der größten Punkte ist der Fachkräftemangel. Die Gastronom*innen stehen immer wieder vor der Frage: Wie bekommen wir gut ausgebildetes Personal? Wie können unsere Betriebe attraktiv sein? Wie bleibt das Personal auch bei uns? Denn auch die Fluktuation bei den Arbeitnehmer*innen in der Gastronomie ist ein großes Problem. Da bin ich ganz froh, dass ich als Politikerin sagen kann, dass wir uns darum kümmern, dass es gute Ausbildung und Bildung in Deutschland gibt. Der nächste Schritt muss nun sein, die Ausbildung den neuen Herausforderungen anzupassen, insbesondere bei der Frage der Digitalisierung in der Gastronomie. Das kann und das muss auch Politik an der Stelle leisten.

Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, müssen Politik und Wirtschaft zusammen aktiv sein. Da muss man wirklich gucken, dass man auf der eine Seite gute Schutzregelungen für die Arbeitnehmer*innen schafft, aber dass es auf der anderen Seite auch eine hohe Tarifbindung gibt und dass Menschen ordentlich verdienen. Das ist Sache der Tarifpartner, aber die Bezahlung muss trotzdem stimmen. Für viele, gerade junge Menschen, sind auch die Arbeitszeiten ein wichtiger Punkt. Ich kenne es selbst aus meiner Jugend, meine Eltern haben am Wochenende meist gearbeitet. Das gehörte bei uns dazu. Junge Menschen wollen heute Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren. Das ist in der Gastronomie schwieriger, weil man auch abends und am Wochenende arbeiten muss. Hier müssen Arbeitgeber reagieren und den Menschen die Möglichkeit geben, ihre Arbeitszeiten individuell einzuteilen, damit sie noch Freunde treffen, ihre Familie und ihre Kinder sehen können.

Mein Traumberuf ist der der Gastronomin und das wusste ich am ersten Tag meiner Ausbildung.

Wird es für Sie irgendwann einen Weg zurückgeben?

Mein Traumberuf ist der der Gastronomin und das wusste ich am ersten Tag meiner Ausbildung. Und wie ich schon gesagt habe, politische Karrieren sind nie planbar, das heißt der Weg zurück ist für mich immer eine Option. Die Vorstellung davon macht mir überhaupt gar keine Angst, sondern macht mir Freude. Wenn ich im Wahlkreis, zu Hause bin und gehe mittags zu meiner Mutter essen und dann merke ich, dass viel los ist, sehe das Treiben - dann spüre ich es in den Fingern, so dass ich mich direkt hinter die Theke stellen und anfangen könnte, zu arbeiten. Es heißt, diese Liebe zur Gastronomie, die geht jemandem, der in diesem Bereich mal unterwegs war, nie verloren.