„Es ist ein bürokratischer Wahnsinn, der auf Unternehmer zukommt. Ich habe Respekt vor jedem, der das übersteht.“
05. Juni 2019Im Einsatz für Kunden - im Einsatz für Wähler: Unternehmer & Politiker
Olav Gutting sitzt für die CDU im Bundestag und vertritt zugleich als Anwalt die Rechte kleiner Unternehmen. Durch Zufall wurde der Finanzpolitiker einmal selbst zum Gastronomen. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was ihn an Familienunternehmen fasziniert und wie die Politik auf ihre Herausforderungen eingeht.
Als Rechtsanwalt sind Sie nicht nur selbst Unternehmer. Sie vertreten vor allem die Rechte von klein- und mittelständischen Unternehmen. Woher kommt dieser Fokus?
Ich komme selbst aus dem Mittelstand, aus einem Familienbetrieb. Meine Mutter war Inhaberin eines Friseurgeschäfts in zweiter Generation. Da bin ich nach der Schule hin und habe meinen Tag im Friseurgeschäft zugebracht. Ich war auch ins Geschäft mit eingebunden: Haare zusammenkehren, Lockenwickler reinigen. Deswegen lernte ich das Leben in einem Familienunternehmen von der Pike auf kennen. Mein Vater ist als Steuerberater seit 1980 selbständig. Sein Fokus lag immer auf den kleinen- und mittelständischen Unternehmen. Daher kommt meine Nähe. Mir gefällt die Zusammenarbeit mit kleinen Organisationen und persönlichen Ansprechpartnern. Man spürt dann, dass Wohl und Wehe vom Unternehmen von der Unternehmerpersönlichkeit abhängt. Die ganze Familie zieht an einem Strang. Das ist mein Ding.
Mit welchen juristischen Themen sind KMUs am meisten konfrontiert? Aus welchen Gründen kommen KMU-Vertreter am häufigsten zu Ihnen?
In meiner Kanzlei betreuen wir überwiegend mittelständische und Familienunternehmen. Als Anwalt bin ich zunächst vor allem Berater. In der Regel ist es ein „lebenslanges Mandat“: Es beginnt mit der Unterstützung der Unternehmen, mit der Gründung und endet mit der Abwicklung, mit der Unternehmensnachfolge, mit Regelungen, wenn der Geschäftsführer oder der Inhaber verstirbt. Es geht vor allem um gesellschafts- und vertragsrechtliche Fragen bis hin zu solchen Fällen, in denen der der Geschäftsführer bei Rot über die Ampel fährt. Oder seine Tochter sich scheiden lässt. Man ist der Ansprechpartner für alles. Man lebt sozusagen mit der Unternehmerfamilie zusammen.
Sie haben mal in die Gastronomie investiert. Wie kam das?
(Lacht) Das war ein Abenteuer. Es ist ja ein Wunsch von vielen, die sich mit gutem Essen beschäftigen, mal selbst ein Restaurant zu betreiben, das man dann so gestalten kann, wie man sich das schon immer gewünscht hat. Mein Engagement war Zufall. Ich habe zufällig eine Immobilie bekommen, in der mal ein Lokal drin war, und habe parallel dazu einen Koch kennengelernt, der aus seinem damaligen Restaurant raus musste. In einer Weinlaune haben wir gesagt: „Komm lass uns zusammentun“. Mit großem Elan und Enthusiasmus sind wir gestartet. Nach einer Weile habe ich jedoch gemerkt, dass ich mich nicht wirklich darum kümmern und Input geben kann, weil es meine Zeit einfach nicht zuließ. Wenn man bei so einer Sache nicht ständig dahinter ist, nachsteuert und nach dem Rechten schaut, dann passiert nichts. Nach einem Jahr habe ich mich zurückgezogen.
Als Anwalt lebt man sozusagen mit der Unternehmerfamilie zusammen.
Als ehemaliger Gastronomiebetreiber kennen Sie auch die Herausforderungen des Geschäfts. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?
Das fing schon mit den Genehmigungen zum Betreiben des Restaurants an. In dem Standort, an dem ich beteiligt war, gab es schon mal eine Gaststätte. Die war jedoch stillgelegt. Wenn die Genehmigung einmal länger weg ist, dann muss man von vorn beginnen. Es gibt baurechtliche Vorschriften, es müssen die neuen Standards eingehalten werden. Dazu kommen Lüftung, Brandschutz und die Toilettenanlagen. All das kostet. Die Verfahren dauern zudem ihre Zeit. Ständig muss man nachhaken – im Rathaus, bei der Behörde. Man hat nicht nur einen Ansprechpartner, sondern muss viele verschiedene gleichzeitig bedienen. Das ist ein bürokratischer Wahnsinn, der auf einen zukommt. Ich habe Respekt vor jedem, der das übersteht.
Basierend auf Ihren Erfahrungen: Welchen Schwierigkeiten stehen Restaurantbetreiber gegenüber?
Die größte Herausforderung ist natürlich, mit so einem Geschäft Geld zu verdienen, so dass man davon vernünftig leben kann. Die Kosten werden immer höher – Energie aber auch Genehmigungs- und Versicherungskosten –, der Markt akzeptiert aber nur bedingt höhere Preise. Es ist eine Herausforderung, mit so einem Betrieb über die Runden zu kommen. Viele Gastronomen belastet auch das Thema Personal, sowohl für Küche als auch für Service. Es ist unheimlich schwierig gute Leute zu finden, die bereit sind, diesen nicht immer einfachen Job zu machen – noch zu Gehältern, bei denen nicht jeder „Juhu“ schreit. Dieser Druck verstärkt sich durch Themen wie Mindestlohn und Aufzeichnungspflichten. Also Bürokratie in Verbindung mit wirtschaftlichem Druck plus Personalmangel. Das ist für viele ein Problem.
Meine Zeit als Gastronomiebetreiber war ein Abenteuer.
Stichwort Personalmangel, würden Sie sagen das die Politik daran etwas ändern kann?
Nein, wir können keine Kinder herzaubern. Ich sage immer: „Geld schießt keine Tore.“ Und genau so ist es auch in der Politik. Wir können auch mit noch mehr Leistungen in der Familienpolitik nicht die demographische Entwicklung umkehren. Die Tatsache, dass wir immer weniger junge Leute haben in diesem Land, die spüren leider alle Branchen. Der Wettbewerb um die besten Köpfe ist voll entbrannt. Das gilt fürs Handwerk, das gilt für die Industrie, das gilt auch für den Staat. Auch bei der Bundeswehr und der Polizei steht das Thema Nachwuchsgewinnung immer wieder ganz oben. Ich sehe es hier in Heidelberg: Wir haben eine ganz tolle Gastro-Schule. Die Jahrgänge werden von Jahr zu Jahr kleiner, obwohl die Ausbildung hervorragend ist und die Chancen, die man damit hat, auch international exzellent sind. Viele gehen dann auch ins Ausland, weil es dort attraktiver ist. Diese Leute fehlen dann natürlich hier in Deutschland. Aber ich denke, man sollte nicht die Illusion erwecken, dass Politik diese Entwicklung einfach umkehren könnte. Wir können helfen, indem wir Qualifizierungen anbieten. Wir können helfen, indem wir bei der Zuwanderung entsprechend die Weichen stellen. Das tun wir ja auch. Wir haben jetzt ein Fachkräftezuwanderungsgesetz in der Pipeline, das in diesem Bereich hilft. Aber man darf sich auch nicht zu viel davon versprechen.
Sie tingeln zwischen Berlin und dem Karlsruher Umland. Sehen Sie Unterschiede in den Herausforderungen, denen KMUs in Stadt und im ländlichen Raum gegenüberstehen?
Ja, auf jeden Fall. Das fängt beim Thema Verkehrsinfrastruktur an. Aber auch Breitband ist ein ganz wichtiges Thema. Wir können im ländlichen Raum keine Industrie ansiedeln, ohne eine vernünftige Versorgung mit Glasfasernetzen anzubieten. Hinzu kommt die mangelnde Attraktivität der ländlichen Regionen für manche Bürger. Viele junge Leute wollen in die Stadt, trotz erhöhter Wohnraumkosten. Man muss schauen, wie man die Attraktivität der ländlichen Region erhalten kann. Ich kenne einen größeren Gastronomiebetrieb in der Gegend, der eigene Wohnungen baut, um sie dann an seine Mitarbeiter zu vermieten. Schicke Wohnungen in einer tollen Umgebung – einfach als zusätzlichen Anreiz, um gutes Personal zu gewinnen. So etwas braucht man in der Stadt eher nicht. Die Politik setzt sich dafür ein, den ländlichen Raum zu erhalten. Zum Beispiel im Gesundheitsbereich, wo wir die Versorgung mit Landärzten und Apotheken stärken. Die Regel ist ja die: Erst stirbt der Bäcker, dann stirbt der Metzger. Dann ist der Arzt weg und dann macht das letzte Restaurant zu. Und dann veröden Gegenden. Dem müssen wir entgegenwirken.
Was war der entscheidende Impuls für Sie, sich politisch zu engagieren?
Das hat auch etwas mit Essen zu tun. Ich saß am Mittagstisch bei meinen Eltern und habe mich über die damalige Situation beklagt, 2001 in Deutschland. Wir waren Schlusslicht in Europa: Wir hielten die „rote Laterne“ beim Wachstum, wir hatten Massenarbeitslosigkeit, stark steigende Staatsverschuldung. Ich habe am Mittagstisch rumgemosert bis mein Vater gesagt hat: „Mach’s doch selbst!“ Das war für mich der Impuls zu sagen: „Eigentlich hat er Recht.“ Man kann sich nicht ständig nur beklagen. Wenn man meint, man kann die Dinge besser machen, muss man sich auch dem Thema stellen. Ich habe mich um das Bundestagsmandat beworben, wurde von der Partei nominiert und ein Jahr später in den Bundestag gewählt. Das war eine spontane Entscheidung. Zumal ich zuvor politisch kaum aktiv war. Außer eine kurze Zeit in der Jungen Union vor Ort – vor allem wegen deren Zeltlager am Baggersee. Mein Cousin war dort mal Vorsitzender. Das war also eher „family business“.
Bürokratie in Verbindung mit wirtschaftlichem Druck plus Personalmangel. Das ist für viele ein Problem.
Sie kennen sowohl die Praxis in einem Unternehmen – durch Ihre eigene Tätigkeit als Anwalt und durch Unternehmen im Wahlkreis – wie auch den Politikbetrieb. Sehen Sie sich als Mittler zwischen den Welten?
Ja, in zweierlei Hinsicht: Als Abgeordneter ist man Transporter von Problemen und Stimmungen vom Wahlkreis nach Berlin. Man ist hier unterwegs, fühlt den Puls, koppelt sich zurück mit den Menschen und trägt das, was man hier einsaugt, nach Berlin. Und umgekehrt ist es genauso. Es ist auch die Aufgabe, Politik, die wir in Berlin machen, vor Ort zu erklären. Leider gelingt das nicht immer.
Welche Erfahrungen bringen Sie aus Ihrem Beruf als Anwalt und Unternehmer in die Politik ein?
Als Selbständiger weiß man, dass es keine 35-Stunden Arbeitswoche gibt. Das ist das Erste, was man opfern muss. Das kenne ich von Kindesbeinen an. Der Kunde ist König. Dem Geschäft wird alles untergeordnet. Dass man nicht mit einem 8-Stunden Tag rechnen darf, gilt auch für die Politik. Zudem ist das Bundestagsmandat auch ein freies Mandat. Man hat keine Weisungen – insofern ist das Mandat mit einer hohen Selbstständigkeit verbunden. Wenn man das schon kennt, ist das hilfreich. Für mich als Anwalt ist es von Vorteil, schon vorher mit Gesetzen gearbeitet und während des Studiums, Staatsaufbau, Staatsrecht und auch Gesetzgebungen gelernt zu haben. Ich kann Impulse aus der Praxis mit nach Berlin bringen und mir bei den Entscheidungen in Berlin immer praktisch vorstellen, was dieses Gesetz für Auswirkungen hat.
Wenn Sie einen Vergleich ziehen zwischen dem, was Sie in der Politik und was Sie und Ihre Klienten in der Wirtschaft tun: Sind es die gleichen Eigenschaften, die Politiker und Unternehmer erfolgreich machen?
Das kann man ziemlich eindeutig mit „nein“ beantworten. Man sieht es auch daran, dass viele Unternehmer, die in die Politik gehen, über kurz oder lang scheitern. Es gibt immer wieder Ausnahmen, aber den wirklichen Unternehmer finden wir in der Politik eher selten. Das hat auch damit zu tun hat, dass ich als erfolgreicher Unternehmer oft keine Zeit habe, mich zusätzlich der Politik zu widmen. Nicht einfach sagen kann: „Ich gehe für ein paar Jahre in die Politik und übergebe mein Unternehmen einem Fremdgeschäftsführer.“ Das ist ja auch ein Risiko. Man ist als Unternehmer gewohnt, allein zu entscheiden und diese Entscheidung auch sofort umzusetzen. In der Politik muss man erst mal lernen Kompromisse zu bauen, und dass demokratische Prozesse manchmal sehr langsam sind.
Die Tatsache, dass wir immer weniger junge Leute haben in diesem Land, die spüren leider alle Branchen. Der Wettbewerb um die besten Köpfe ist voll entbrannt.
Wenn mehr Mitglieder im Bundestag selbstständige Unternehmerinnen und Unternehmer wären, was würde sich verändern?
Ich denke, die Prozesse würden zeiteffizienter werden. Das ist das, was mich manchmal auf die Palme bringt: Die Ineffizienz und die Dauer von Gesetzgebungsverfahren. Auch in Sachen Digitalisierung wären Impulse von außen gut: Wir propagieren Digitalisierung, dennoch laufen wir immer noch mit Papierstapeln durch die Gegend. Ich glaube trotzdem, dass man Politik und Unternehmen nicht miteinander vergleichen kann. Man kann einen Staat nicht wie ein Unternehmen führen und komplett auf Effizienz trimmen.
Können Sie sich nach 17 Jahren als Abgeordneter im Bundestag auch ein Leben ganz ohne Politik und mit vollem Fokus auf Ihr Business vorstellen?
Ja, und es ist mir wichtig, dass ich das immer kann. Deswegen tue ich mir diese Doppelbelastung – Anwalt und Politiker – ganz bewusst an. Es bedeutet für mich Freiheit, jederzeit entscheiden zu können, in der Politik nicht mehr weiter zu machen. Für mich ist klar: Politik ist ein Mandat auf Zeit. Man schließt einen Vertrag mit den Wählerinnen und Wählern für vier Jahre im Bundestag. Danach entscheiden die Wählerinnen und Wähler neu. Das Vertrauen muss man sich immer wieder erarbeiten. Kein Abgeordneter sollte glauben, dass er für die Ewigkeit Politiker bleibt. Deswegen ist es wichtig, jederzeit auch wieder ins Glied zurücktreten und seinen bürgerlichen Beruf wieder aufnehmen zu können – ohne, dass dies zu einer persönlichen Katastrophe wird. Ansonsten wird man abhängig von Partei und Politik. Das tut uns allen nicht gut. Politikern sollte es wichtig sein, neben dem Politikmandat die beruflichen Qualifikationen zu erhalten.
Man ist als Unternehmer gewohnt, allein zu entscheiden und diese Entscheidung auch sofort umzusetzen. In der Politik muss man erst mal lernen, dass demokratische Prozesse manchmal sehr lange dauern.