Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht in der Lieferkette
10. Februar 2021Ein Interview mit Veronika Pountcheva und Eddy Vanhille
Wir trafen Veronika Pountcheva, Senior Vice President und Global Director Corporate Responsibility, und Eddy Vanhille, Chief Procurement Officer von METRO, zu einem Zwiegespräch. Der Blick in die Praxis zeigt die umfassenden Prozesse, die hinter unternehmerischer Sorgfaltspflicht stecken. Die METRO AG managed eine Lieferkette mit bis zu 120.000 Produkten von 75.000 direkten Lieferanten.
Die Debatte um eine stärkere Regulierung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht hat in den letzten Monaten stark an Dynamik gewonnen. Zwar gibt es die international anerkannten Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) und die OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen. Aber: es geht nur schleppend voran.
Diese weltweit anerkannten Richtlinien und Leitprinzipien dienen als Blaupause für Unternehmen, die Menschenrechtsverletzungen vorbeugen wollen. Sie legen fest, wie Sorgfaltspflicht nachteilige Auswirkungen verhindern, abmildern und beheben kann. Dabei gibt es nur einen Haken: Sie sind freiwillig. Mehrere Länder – in und außerhalb der EU – haben inzwischen verbindliche Regeln aufgestellt. Die Europäische Kommission hat eine eigene Gesetzesinitiative für dieses Jahr angekündigt.
Veronika, als Global Director Corporate Responsibility setzen Sie sich für ein nachhaltiges Geschäftsmodell ein, das ökologische und soziale Aspekte fest in der Unternehmensstrategie verankert. Können Sie erläutern, was menschenrechtliche Sorgfaltspflicht im Rahmen der unternehmerischen Verantwortung der METRO AG bedeutet?
Wir bei METRO verpflichten uns, in unserer eigenen Geschäftstätigkeit wie auch in unserer Lieferkette Menschenrechte zu achten. Der Mensch steht in unserem Geschäft im Mittelpunkt und wir schätzen jede einzelne Person, die mit und für uns arbeitet, als unsere wertvollste Ressource. Sorgfaltspflicht bedeutet also im Wesentlichen, dass wir und unsere Geschäftspartner in allen Aktivitäten für die Einhaltung der international anerkannten Menschenrechte sorgen.
Genauer gesagt ist die unternehmerische Sorgfaltspflicht ein fortwährender Steuerungsprozess. Ein Prozess, bei dem Unternehmen ihre eigenen Betriebsabläufe und ihre Lieferketten einer gründlichen Prüfung unterziehen, um tatsächliche und potenzielle Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf die Menschenrechte zu ermitteln. Die Ergebnisse werden analysiert und es werden entsprechende Maßnahmen ergriffen, um Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden, zu mindern und zu beheben. Um der Rechenschaftspflicht nachzukommen, müssen alle Erkenntnisse erfasst und dokumentiert werden. Und die Unternehmen müssen transparent machen, wie sie gegen Verstöße vorgehen wollen.
Eddy, als Operating Partner Global Procurement sorgen Sie dafür, dass Kundinnen und Kunden in unseren 678 Großmärkten Produkte finden, die wir von überall auf der Welt beziehen. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen, aber auch Lösungsansätze im Hinblick auf eine gesetzlich verankerte Sorgfaltspflicht?
Ja, unsere Kernaufgabe ist es, eine Sortimentsstrategie für die METRO Cash & Carry Länder auszuarbeiten und umzusetzen. Unser Ziel ist es dabei, die Zufriedenheit unserer Kundinnen und Kunden durch eine Vielzahl von Produktgruppen und -optionen zu maximieren. Jedes METRO-Land bietet einen Mix aus nationalen und internationalen Marken sowie regionalen und lokalen Produkten an, die für den jeweiligen Markt relevant sind. Um es ganz offen zu sagen, unser Kerngeschäft ist die Herausforderung an sich: nämlich die Komplexität unserer Lieferketten, nicht nur wegen der Anzahl der beteiligten Akteure. Dabei denke ich auch an die vielen kulturellen Unterschiede, die mit den vielen Bezugsorten einhergehen.
Unsere einzige Chance, diese Komplexität zu bewältigen, besteht darin, einigermaßen standardisierte Prozesse zu verankern, ohne dabei die nötige Flexibilität preiszugeben. Das heißt: Wir definieren, was gesteuert werden muss, und wir entwickeln Richtlinien, Standards und Betriebsabläufe. Außerdem führen wir Schulungen durch und legen fest, wer für was verantwortlich ist. Das mag sehr technisch klingen und natürlich liegt der Teufel im Detail, aber alles steht und fällt mit einer präzisen Definition und einem sauber ausgearbeiteten Prozess.
Ein zentraler Konfliktpunkt ist die sogenannte Verantwortungstiefe. Die eine Seite fordert eine Verpflichtung für die gesamte Wertschöpfungskette, die andere fordert eine auf die erste Lieferantenebene beschränkte Verantwortung. Gleichzeitig wird hitzig darüber diskutiert, ob Unternehmen nicht nur für soziale, sondern auch für ökologische Auswirkungen stärker zur Verantwortung gezogen werden sollten. Wie stehen Sie dazu, Eddy?
Wenn wir über Verantwortung und Hebelwirkung sprechen, ist es wichtig, zwischen Eigenmarkenlieferanten und Herstellern von Markenartikeln zu unterscheiden. Im derzeitigen politischen Klima wird dieser scheinbar kleine, aber entscheidende Unterschied vernachlässigt. Unser Verhaltenskodexrichtet sich an alle unsere Geschäftspartner, aber der Einfluss auf unsere Eigenmarkenlieferanten ist ungleich höher. In diesem Sinne ist es in der Tat der erste Schritt, sicherzustellen, dass alle unsere Lieferanten der ersten Ebene sowie die Hersteller von Eigenmarkenprodukten unsere strengen Due-Diligence Anforderungen erfüllen. Unser Ziel ist es aber, einen Schritt weiter zu gehen und künftig alle Lieferanten entlang unserer Lieferkette zu prüfen.
Und zu Ihrer Frage nach der Einhaltung von Umweltstandards: Natürlich müssen diese Aspekte ebenso gründlich gesteuert werden. Ich bin allerdings skeptisch, ob es sinnvoll ist, dies zusammen mit der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht zu bearbeiten. Ich denke es macht Sinn, Schritt für Schritt vorzugehen, statt ein Gesetz zu überfrachten.
Veronika, die Europäische Kommission vertritt die Ansicht, dass Unternehmen die negativen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit nicht ausreichend berücksichtigen und dass eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht daher verpflichtend sein sollte. Was ist Ihre Einschätzung dazu und ist ein gesetzlicher Rahmen der richtige Weg, um Anreize für Unternehmen zu schaffen?
In den letzten Jahren gab es viele freiwillige Selbstverpflichtungen verschiedener Unternehmen, meist multinationaler Konzerne. Alle Wirtschaftsaktivitäten – ob groß oder klein – haben Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft. Ein Rechtsrahmen, der alle Unternehmen zu verantwortungsvollem Handeln verpflichtet, ist ein wichtiger Schritt, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.
Seit einem Jahr bestimmt die Pandemie die globale Tagesordnung. Die Covid-19-Krise hat einmal mehr die Komplexität globaler Wertschöpfungsketten offengelegt – und die Schwäche freiwilliger Maßnahmen bei der Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen. Millionen Beschäftigte auf der ganzen Welt spüren die Folgen. Es ist schwierig, in Sachen Menschenrechte voranzukommen, wenn ganze Branchen betroffen sind, Arbeitsplätze verschwinden und die Beschäftigten bereit sind, für den Erhalt ihrer Existenzgrundlage die Extra-Meile zu gehen.
Es gibt Anzeichen, dass sich das ändern könnte. Ein intelligenter Mix aus freiwilligen und verpflichtenden Maßnahmen ist ein guter Ansatz. Er gibt Unternehmen die Gelegenheit Veränderungen anzustoßen und hilft so, schwerwiegende Verletzungen oder Beeinträchtigungen von Menschenrechten und Grundfreiheiten zu vermeiden. Im Zeitalter der rasanten Globalisierung und immer verflochteneren Lieferketten müssen wir unsere Praktiken noch eingehender und vollständiger durchleuchten. Und dort nachbessern, wo es an Erkenntnissen und Transparenz mangelt.
Was halten Sie von freiwilligen Initiativen und Verpflichtungen? Reichen sie nicht aus, um Veränderungen vor Ort zu bewirken und Anreize für Unternehmen zu schaffen, Menschenrechte in ihren Lieferketten besser zu schützen?
Die Realität ist leider, dass wir die Formel, mit der Menschenrechtsverletzungen aus der Welt geschafft oder verhindert werden können, noch nicht gefunden haben. Deshalb, freiwillig oder nicht: Wir haben noch nicht genug getan.
METRO ist Gründungsmitglied von amfori BSCI und arbeitet mit SEDEX zusammen. Das sind zwei Organisationen, die uns aktiv dabei unterstützen, unsere Lieferkette sicherer und fairer zu gestalten. Wir arbeiten an jeder Säule eines soliden Due-Diligence-Prozesses, wir unterstützen die Transparenz unserer Partner und wir kommunizieren die Ergebnisse, die wir erzielen. Audits spielen eine wichtige, aber begrenzte Rolle. Sie sind lediglich eine Momentaufnahme der Gegebenheiten in einer Fabrik.
METRO ist auch Mitglied des Aktionsbündnisses für Menschenrechte des Consumer Goods Forums, das sich für die Beendigung von Zwangsarbeit einsetzt. Wir arbeiten mit anderen Unternehmen aus unserer Branche zusammen – die die gleichen Werte haben wie wir und unserer Streben nach Veränderung teilen. Die Mitglieder der Koalition verpflichten sich, der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachzukommen und basierend auf den Erkenntnissen aus ihren eigenen Betriebsstätten und Wertschöpfungsketten tätig zu werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit Hilfe dieser Plattform praktische Handlungsansätze erarbeiten und die Umsetzung voranbringen können.
Diese freiwilligen Verpflichtungen sind für das Erzielen von Fortschritten wertvoll. Sie sind aber nicht allgemeingültig für alle. Einen Regulierungsrahmen können sie nicht ersetzen.
Ein intelligenter Mix aus freiwilligen und verpflichtenden Maßnahmen ist ein guter Ansatz. Er gibt Unternehmen die Gelegenheit Veränderungen anzustoßen. Und hilft so, schwerwiegende Verletzungen oder Beeinträchtigungen von Menschenrechten und Grundfreiheiten zu vermeiden
Veronika Pountcheva, Global Director Corporate Responsibility, METRO AG
Man muss gründlich sein bei Due-Diligence-Mechanismen, und das braucht Zeit – und es wird Zeit brauchen, Prozesse Schritt für Schritt zu implementieren und damit Veränderungen vor Ort zu erreichen.
Eddy Vanhille, Chief Procurement Officer, METRO AG
Eddy, viele internationale Unternehmen sind der Ansicht, dass ein EU-weit harmonisiertes Vorgehen besser ist als ein Flickenteppich aus nationalen Gesetzen. Teilen Sie diese Meinung?
In Deutschland, wo die METRO AG ihren Hauptsitz hat, wird seit einiger Zeit diskutiert, wie eine nationale Gesetzesinitiative aussehen könnte. In anderen Ländern, wie z. B. den Niederlanden und Frankreich, ist die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht für Unternehmen bereits bindend. Auch wenn es noch zu früh ist, die Auswirkungen dieser Gesetze zu beurteilen. Klar ist, dass der Erfolg davon abhängt, wie konsequent sie durchgesetzt werden. Letztendlich ist ein Gesetz nur so wirksam wie seine Durchsetzung. Die METRO AG ist in 34 Ländern aktiv, davon sind 15 EU-Mitgliedstaaten. Aus operativer Sicht macht es wesentlich mehr Sinn, einen harmonisierten Ansatz zu verfolgen, an Stelle von verschiedenen nationalen Initiativen.
Veronika, wenn wir von Durchsetzungsmechanismen sprechen polarisiert vor allem die Haftungsfrage. Sollten Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden? Wie ist Ihre Haltung zu dieser Frage und wie gehen Sie bei der METRO AG das Thema der Behebung an?
Bei den Bemühungen um die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht muss es um mehr gehen als das bloße Abhaken einer Liste. Aber wie bereits gesagt, die heutigen Lieferketten sind global und komplex. Von einem Unternehmen zu verlangen, dass es die Haftung für Praktiken übernimmt, die weit unten in der Wertschöpfungskette stattfinden, ist eine enorme Herausforderung. Es muss vermieden werden, dass Unternehmen die Zusammenarbeit mit den betroffenen Lieferanten aufkündigen. Wir brauchen positive Anreize, um Probleme zu beheben und bessere Ergebnisse für die Menschen vor Ort zu erzielen. Ich denke, das Konzept der kontinuierlichen Verbesserung könnte als geeignete Grundlage dienen – im Sinne einer nachhaltigen Entwicklungsstrategie.
Die Suche nach wirksamen Abhilfemaßnahmen ist zweifellos ein sehr wichtiger und anspruchsvoller Teil der menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfung. Bei METRO haben wir seit vielen Jahren einen öffentlich zugänglichen Beschwerdemechanismus. Aber wir wissen, dass dieser nicht ausreicht, um zu alles zu erfahren, was wir tatsächlich erfahren müssen. Wir müssen uns um effektive Beschwerdemechanismen kümmern und den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen mehr Gelegenheit verschaffen, gehört zu werden. Wenn wir es wagen, diesen Prozess als eine „Chance“ zu betrachten, bin ich zuversichtlich, dass wir durch jeden einzelnen Fall lernen und uns verbessern können.
In der Debatte um die unternehmerische Sorgfaltspflicht haben wir über viele Herausforderungen gesprochen, von der Haftungsfrage bis hin zum Geltungsbereich. Wenn Sie ein Gesetz formulieren könnten, das sowohl effektiv in der Ausführung als auch machbar in der Umsetzung ist, wie würde das aussehen?
Veronika: Ich würde eine Gesetzgebung begrüßen, die mit einheitlichen, harmonisierten Regeln wirklich gleiche Wettbewerbsbedingungen schafft. Sie sollte sektorübergreifend und für alle anerkannten Menschenrechte gelten (nicht nur für spezifische Themen wie Kinderarbeit oder Zwangsarbeit).
Eddy: Zugleich sollte sie die Besonderheiten der verschiedenen Branchen berücksichtigen. Eine gut durchdachte Übergangszeit ist dabei ebenfalls sehr wichtig. Man muss gründlich sein bei Due-Diligence-Mechanismen, und das braucht Zeit – und es wird Zeit brauchen, Prozesse Schritt für Schritt zu implementieren und damit Veränderungen vor Ort zu erreichen.