Nächste Generation der Lebensmittel
20. Januar 2020Wie sich das Konsumverhalten verändert hat und welche Lösungen NX-Food bietet
Fabio Ziemßen ist Leiter von NX-Food. Die Mission von NX-Food: Das Nahrungsmittelsystem bereichern und inspirieren. Der 2017 gegründete Innovationshub von METRO ist auf der Suche nach neuen Technologien, Impulsen und Produkten – also Lösungen, die Antworten für die Herausforderungen des globalen Nahrungsmittelsystems bieten. Gemeinsam mit den Innovatoren arbeitet NX-Food daran, ihre Lösungen zu realisieren und verhilft ihnen zu einem erfolgreichen Sprung auf den Markt.
Wir sprechen mit Fabio über verlorene Wertschätzung von Lebensmitteln, den Herausforderungen der globalen Welternährung und den neusten Food Trends und Lebensmittelinnovationen
Fabio, seit der Gründung von NX-Food ist viel passiert: Anfang 2018 habt Ihr das erste Großhandels-Listing für insektenbasierte Produkte in Deutschland eingeführt, nur 3 Monate nach Inkrafttreten der neuen EU-Verordnung über neuartige Lebensmittel. Kurz darauf habt Ihr zahlreiche Partnerschaften gestartet. Um die Zukunft der Ernährung voranzutreiben unterstützt NX-Food internationale Startups in den Bereichen alternative Proteine, Vertical Farming und mehr. Welche Richtung schlägt NX-Food damit ein und was ist das langfristige Ziel?
Fangen wir mit der Herausforderung an: Als Gesellschaft haben wir den Bezug zur Herkunft von Lebensmitteln verloren. Der Graben zwischen dem point of production und dem point of consumption ist enorm groß. Wir haben kein Gefühl mehr dafür, was notwendig ist, um Lebensmittel zu produzieren. Gleichzeitig geht die Verhältnismäßigkeit zu Lebensmitteln verloren. Lebensmittelabfälle haben zugenommen, die Bereitschaft für Lebensmittel Geld auszugeben hat dagegen abgenommen. NX-Food sucht nach Lösungen, die den Bezug zu Lebensmitteln wiederherstellen. Beispiel dafür ist die Re-Lokalisation von pflanzlichen Ressourcen durch das Vertical oder Urban Farming. Oder Lösungen zur transparenten Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln, die Käufern Einblicke in Produktions- und Verarbeitungsprozesse ermöglichen.
Das Jahr 2019 stand im Zeichen riesiger Debatten – zumindest innerhalb Europas – zum Klimawandel und in diesem Zusammenhang zu nachhaltigen Lebensstilen. Was ist Deine Erfahrung: Haben diese Diskussionen Food-Innovatoren Auftrieb gegeben?
Klare Antwort: Ja. Gerade unter den Köpfen hinter neuen Lebensmitteltechnologien und Lebensmittellösungen gibt es sehr viele Millennials, die - aus einem inneren Antrieb agieren und Produkte auf den Markt bringen, die den Anspruch haben, den Status quo zu verändern. Ein prominiertes Beispiel ist das Unternehmen Beyond Meat, was 2019 durch seinen erfolgreichen Börsengang auf sich aufmerksam gemacht hat. Das hat auch dazu geführt, dass viele Nachahmungsprodukte auf den Markt gebracht wurden, weil das Potenzial alternativer Proteinquellen oder alternativer pflanzlicher Lösungen deutlich wurde.
Die Diskussion um pflanzliche Ernährung hat das zum Beispiel richtig beflügelt. Die Diskussion rund um das Thema pflanzliche Ernährung wird sehr emotional geführt. Was ist in der Debatte Deiner Meinung nach erreicht worden?
Sie ist im Mainstream angekommen. Längst geht es nicht mehr nur um Tierschutz – sondern auch um gesunde Ernährung, das eigene Wohlbefinden und Fragen des Klimaschutzes. Das sind Themen, die immer mehr Konsumenten stark beschäftigen. Die Diskussion wird also heute von nachhaltiger Motivation auf der einen, und der Frage der für den eigenen Körper optimalen Ernährung auf der anderen Seite getrieben. Kein Wunder also, dass bei so persönlichen Themen Emotionen die Debatte entsprechend färben.
Was für Lebensmitteltrends können wir denn für 2020 erwarten?
Das Thema nachhaltige Verpackungen wird groß. Weiterhin werden wir Produkte sehen, die vegetarische oder vegane Alternativen bieten. Was wir insbesondere auch sehen werden sind zucker- und alkoholfreie Produkte. Also Alternativen für Produkte, die wir eigentlich schon kennen – die in diesem Fall auch der zunehmenden Bedeutung von Aspekten der Gesundheit in unserer Gesellschaft Rechnung tragen, aber in Geschmack und Textur gleich sind. Aktuell beobachten wir daher Innovationen funktionaler Natur, bei denen die Gesundheit im Mittelpunkt steht. Dazu gehören Lösungen für eine Ernährung, die auf den eigenen, individuellen Bedarf zugeschnitten ist. Personalized nutrition wird daher ebenfalls ein großes Thema.
Wie erreicht man denn, dass aus einem Trend eine wirkliche, langlebige Alternative wird?
Das alternative Produkt darf nicht mit einem erhobenen Zeigefinger einhergehen. Es muss erst einmal all die Attribute haben, die den Erfolg des ursprünglichen Produkts ausmachen. Also: Geschmack und Qualität. Auf einer solchen Ebene kann das Produkt auch mal den Zeigefinger heben. Aber um dann wirklich eine Alternative zu werden, muss das Produkt im Zweifel die bessere Alternative sein. Besser bedeutet, im Idealfall nicht nur allein getrieben durch Nachhaltigkeitsaspekte, sondern auch durch noch besseren Geschmack, bessere Qualität oder ein Höchstmaß an Produkttransparenz.
Du bist auch Mitgründer von BALpro – einem Verband zur Förderung alternativer Proteine. Was treibt BALpro um?
Der Verband für alternative Proteinquellen ist als Interessenorganisation gegründet worden. Losgelöst von Emotionen und Ideologisierungen erörtern die Mitglieder – darunter Start-Ups, Konzerne und Investoren – wie ein zukunftsfähiges Lebensmittelsystem aussehen kann. Wichtig: Wir prangern nicht an, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist, sondern legen unseren Fokus auf die Zukunft.
Welche Rollen spielen aus Deiner Sicht politische und staatliche Institutionen, wenn es darum geht, Innovationen zu etablieren, die zu einem nachhaltigen Ernährungssystem beitragen?
Politische Akteure haben meiner Meinung nach in diesem Zusammenhang die Aufgabe, gute Rahmenbedingungen für diese Marktentwicklung zu schaffen. Der erste Schritt wäre, zukunftsgerichtete Marktentwicklungen früh zu erkennen und dann zu reagieren. Wir sehen in Deutschland allerdings häufig, dass die politischen Akteure die Geschwindigkeit von Trends um Lebensmittelinnovationen und -technologien unterschätzen und dann nicht mehr zeitgemäß reagieren. So werden wir nicht Innovationstreiber im Lebensmittelbereich. Es gibt bereits eine sehr agile Gründungslandschaft für neue Produkte und Lösungen. Deutschland versteht sich jedoch nicht als Aushängeschild für Innovationen. Ein Grund dafür: Wir haben die deutsche Kochkultur immer eher als Expansions- statt als Innovationsgeschichte betrachtet.
Das ist Fabio
Fabio ist im Garten Eden aufgewachsen: Sein Großvater hatte einen landwirtschaftlichen Betrieb und seine Mutter war eine leidenschaftliche Köchin mit starkem Bewusstsein für Lebensmittel. Kein Wunder, dass Lebensmittel schon immer im Zentrum von Fabios Leben standen. Als Student verdiente er sich mit Gastrojobs etwas dazu, nach der Schule absolvierte er eine Ausbildung bei METRO Deutschland zum Groß- und Außenhandelskaufmann und studierte parallel Marketing und Kommunikation. Es folgte ein zweites Studium in Logistik und E-Commerce. Mit dem Voranschreiten der digitalen Entwicklung, fragte er sich: What’s next? „Die Mischung aus meinem Interesse an Technologie und meine emotionale Verbindung zu Lebensmitteln hat mich zu der Mission geführt, zu schauen, wie wir in Zukunft das, was wir lieben und brauchen, so kombinieren können, dass es allen am Ende besser geht.“ Seit 2017 ist Fabio mit genau dieser Mission wieder bei METRO – als Gründer und Leiter des Innovations Hubs NX-Food – tätig.