Nie war mehr Anfang als jetzt?
18. Juni 2021Wie die Gastronomie neuen Nachhaltigkeitszielen begegnet und was sie von Politik und Gesellschaft zur Umsetzung braucht
Zum Tag der nachhaltigen Gastronomie haben kurz nach dem Restart Illa Brockmeyer und Sven Liebert mit Unternehmer_innen der Gastwirtschaft in Berlin gesprochen. Neue Anforderungen durch den Gesetzgeber in Sachen Mehrweg und Plastikverbote setzen die stark gebeutelte Branche weiter unter Druck. Die beiden treffen leidenschaftliche Persönlichkeiten, für die Nachhaltigkeit kein Neuland mehr ist. Dennoch sehen auch diese Gastronom_innen viel Potenzial und erklären, was sie von der Politik erwarten und wie auch wir als Kunden sie unterstützen können.
Wenn man in diesen Tagen mit Freunden einen Tisch in einem ausgebuchten Restaurant ergattert oder sich endlich wieder zu einem gemeinsamen Café mit Kolleg_innen trifft, vergisst man fast, was die Gastronomie in der Covid-19 Pandemie durchgemacht hat. Viele haben gekämpft, sich mit Online-Geschäft und Lieferdiensten neu erfunden und es mit Hilfe staatlicher Unterstützung wie Kurzarbeit und Überbrückungshilfe gerade so geschafft, ihr Geschäft zu erhalten. Zu der Geschichte gehört aber auch, dass viele Hotels, Restaurants und Cafés aufgeben mussten. Laut einer aktuellen Dehoga Umfrage bangt immer noch fast jeder zweite Betrieb um seine Existenz. Einige warten noch auf November- und Dezemberhilfen, über 70 Prozent der Unternehmen warten noch auf die Überbrückungshilfe III. Hinzu kommt der Personalmangel, der zwar schon vor Corona bekannt war, durch die Krise jedoch noch verstärkt wurde. Fast 30 Prozent der Unternehmen können gerade aufgrund fehlender Mitarbeiter nicht öffnen.
Neue Anforderungen in Sachen Nachhaltigkeit fordern die kleinen Unternehmen zunehmend
Gleichzeitig laufen die Vorhaben des Gesetzgebers unermüdlich weiter. Dabei sind unsere Kunden aus der Hotellerie, Restaurant- und Catering Branche (HoReCa) in Deutschland vor allem von europäischen Regulierungen wie dem Einwegplastikverbot und der damit verbundenen ab 2023 geltenden Mehrwegpflicht betroffen. Ab dem 3. Juli ist es EU-weit verboten, bestimmte Einwegplastikprodukte wie Strohhalme, Einweg-Geschirr oder To-Go-Becher neu auf den Markt zu bringen. Zwar darf in Deutschland bestehende Ware noch abverkauft werden, aber grundsätzlich müssen Handel und Unternehmer auf verfügbare Alternativen umstellen. Gleichzeitig hat die Bundesregierung mit der Novellierung des Verpackungsgesetzes eine neue Mehrwegpflicht eingeführt. Für Take-Away und Lieferdienste müssen Kunden der Gastronomie ab 2023 Mehrwegbehältnisse angeboten werden.
Es ist ein Wandel, der ist überall angekommen.
Aymann Azzawi, Gründer Refueat
Einwegprodukte zu ersetzen und gleichzeitig kostspielige Mehrwegalternativen anzuschaffen sind zusätzliche Hürden, die Betriebe nehmen müssen, um ihr Geschäft erfolgreich neu starten zu können. Vor allem wenn man bedenkt, dass es abgesehen von privatwirtschaftlichen Anbietern noch überhaupt keine übergreifende Infrastruktur gibt, die das seitens des Gesetzgebers geforderte Mehrwegsystem umsetzen kann. Über den lang ersehnten Restart nach sieben Monaten Lockdown und den stetig wachsenden regulatorischen, aber auch gesellschaftlichen Druck, das Geschäft nachhaltiger zu gestalten, darüber haben wir zum Tag der nachhaltigen Gastronomie mit drei Unternehmer_innen in Berlin gesprochen.
Unser erster Gesprächspartner ist Aymann Azzawi, ein aus Syrien stammender Berliner der 2016 sein Unternehmen „refueat“ gegründet hat. Angefangen mit einem mobilen Street Food Geschäft auf Rädern hat er heute ein Catering-Business und produziert u. a. für den Lebensmitteeinzelhandel. Wir waren im Herzstück seines Unternehmens, einem kleinen „Soul-Food“ Imbiss in Berlin-Kreuzberg. Refueat hat die Krise mit einem „blauen Auge“ überlebt. Das liegt vor allem daran, dass Aymann sich gemeinsam mit seinem Partner Andy Munser mehrere Standbeine aufgebaut hat. Durch den Imbissverkauf, sogenannte Food-Bikes, einen neuen Onlineshop und die Lebensmittelproduktion konnte man den pandemiebedingten Wegfall des Catering-Geschäfts zumindest teilweise kompensieren.
Nachhaltigkeit als Wandel, der überall angekommen ist
Nachhaltigkeit beginnt für Aymann dabei schon bei der sozialen Dimension seines Geschäftskonzepts. Refueat wurde gegründet, um Geflüchteten einen Arbeitsplatz zu geben. „Nachhaltige Integration funktioniert nur, wenn Du im echten Leben dabei bist“, erklärt Aymann. Neben der starken sozialen Komponente gestaltet Aymann sein Geschäft aber auch in anderen Bereichen nachhaltig. Denn es muss sich für ihn im gesamten Konzept widerspiegeln. „Es ist ein Wandel, der ist überall angekommen“ antwortet er auf die Frage nach seiner Motivation.
In seinem Take-Away und Catering Geschäft setzt Aymann ausschließlich nachhaltige Verpackungen ein. Da er keine seine Vorstellungen entsprechenden Produkte fand, arbeitete er kurzerhand mit einem Start-up aus Berlin zusammen, arekapak. In der Partnerschaft sind aus getrockneten Palmblättern hergestellte Behältnisse entstanden, ein hundertprozentiges Naturprodukt.
Natürlich gibt es Aspekte die für refueat noch eine Herausforderung sind – aus Lager-, Kapazitäts- oder Transportgründen. Eine zentrale Herausforderung ist aus Aymann’s Sicht allerdings der Preis für nachhaltige Alternativen. Zwar gilt das Einwegplastikverbot schon in ein paar Wochen. Das heißt aber nicht, dass es bereits genügend Alternativen auf dem Markt gibt. Auch wenn aktuelle Studien eine gewisse Zahlungsbereitschaft der Kund_innen zeigen, stellt sich Aymann die Frage nach der konkreten Umsetzung von Preiserhöhungen in seinem Unternehmen.
Besonders kleine Betriebe haben Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Mehrweg
Bei der Umsetzung der neuen Mehrwegpflicht kommt es für Aymann vor allem auf das Volumen und die Logistik an. Mehrweggeschirr ist auf Food-Bikes schwierig zu transportieren, wenn es um Bewirtungen von bis zu 500 Gästen geht. Je nach Größe eines Betriebs sollte es deshalb entsprechende staatliche Unterstützung geben, schlägt Aymann vor. Denn auch hier kommt der Markt ins Spiel. Viele der bestehenden Mehrwegkonzepte sind noch unausgereift oder zu teuer. Auch die Kundenperspektive gilt es nicht zu vergessen. Ein entsprechendes Kreislaufsystem muss für alle funktionieren. „Nur weil es von meiner Seite funktioniert, heißt es nicht, dass es für den Kunden funktioniert“.
Digital besser kalkuliert hilft Ressourcen zu schützen
Gerade in diesem Jahr wird jetzt auch nochmal der Mindestlohn erhöht. Die Wareneinsätze sind aufgrund der Pandemie stark gestiegen. Da würde auch in Zukunft ein gesenkter Steuersatz enorm helfen.
Yasmin Standke, Inhaberin und Gründerin Yazup
Von Kreuzberg geht es weiter nach Berlin-Charlottenburg, wo wir Yasmin, Inhaberin und Gründerin von „yazup“ einem Café und Catering-Business treffen. Auch Yasmin liegt Nachhaltigkeit in ihrem Betrieb besonders am Herzen. Seit der Gründung ihres Cafés achtet Yasmin darauf das Plastikvorkommen zu reduzieren und arbeitet seit Kurzem auch mit dem Mehrweganbieter Recup zusammen. Der Kunde erhält gegen Pfand einen Mehrweg-Becher oder eine Mehrweg-Schüssel die bei yazup oder bei anderen Recup-Partnern zurückgegeben werden können. Yasmin fördert damit das grundsätzliche Bewusstsein bei Kunden, dass es auch Mehrwegalternativen für einen To-Go Café gibt. Das Anbieten von Mehrweg bedeutet für Yasmin aber natürlich auch Mehrarbeit. Denn der Kunde bringt das benutzte Geschirr zurück ins Café, wo es dann gereinigt werden muss.
Wichtige Helfer auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit sind auch die digitalen Tools, die sie erfolgreich für ihre Planung einsetzt. Das sogenannte „MenuKit“ hilft ihren Mitarbeiter dabei Wareneinsätze einzelner Gerichte zu kalkulieren und somit auf den Punkt zu produzieren. Dadurch werden weniger Lebensmittel weggeschmissen. Gleichzeitig betont Yasmin, dass es wirtschaftlich stimmen muss. Sie möchte ihr Geschäft so gut es geht nachhaltig aufstellen. Es darf allerdings kein Minus daraus entstehen. Von der Politik wünscht sich Yasmin deshalb finanzielle Förderung. Denn die in zwei Jahren geltende Pflicht Mehrwegalternativen anzubieten erfordert Investitionen, die vor allem für kleinere Betriebe erheblich sein können. Mit Blick auf notwendige Anschaffungen kommt Yasmin der gesenkte Mehrwertsteuersatz entgegen. „Gerade in diesem Jahr wird jetzt auch nochmal der Mindestlohn erhöht. Die Wareneinsätze sind aufgrund der Pandemie stark gestiegen. Da würde auch in Zukunft ein gesenkter Steuersatz enorm helfen“ betont Yasmin.
Es braucht ein umfassendes und günstiges Angebot an nachhaltigen Plastikalternativen
Unser drittes und letztes Interview führt uns zu “FLORIS Catering” nach Berlin-Neukölln. Dort treffen wir Floris Vlasman der gemeinsam mit seiner Frau Kerstin seit fast 30 Jahren ein Catering-Unternehmen führt. FLORIS Catering wurde von der Corona-Pandemie besonders hart getroffen. Denn das Geschäft ist im Grunde vollständig weggebrochen. Mit dem Umzug ins Home-Office sind gleichzeitig die großen Corporate-Kunden weggefallen, genauso wie Kongresse, Tagungen und andere Großveranstaltungen. Auch hier hat man umgedacht und umstrukturiert, das Online-Geschäft ausgebaut. Unbeeinträchtigt von der Krise bleibt jedoch der Fokus auf Nachhaltigkeit. FLORIS Catering ist in Berlin bekannt als „Urgestein der Nachhaltigkeit“ und hat bereits verschiedenste Auszeichnungen erhalten. Im Dezember 2020 kam das Unternehmen auf den 2. Platz beim METRO Preis für Nachhaltige Gastronomie.
Wo fließen wann welche Gelder? In welchem Umfang muss ich zurückbezahlen? Welche Zinssätze werden veranlagt?
Floris Vlasman, Inhaber FLORIS Catering
„Heutzutage will jeder alles zu jederzeit an jedem Ort. Ob die Erdbeere unter dem Weihnachtsbaum oder der Spargel im Januar“. Das sei zwar möglich erklärt Floris, aber nicht vereinbar mit seiner Unternehmensphilosophie. Man verwende lieber saisonale und regionale Produkte und stelle nur das her, was tatsächlich benötigt werde, um möglichst wenig Lebensmittel wegzuschmeißen. Der neueste „Star“ im Unternehmen ist die Kompostieranlage. Sämtliche Abschnitte im Rohwarenbereich (Fleisch, Fisch aber auch verarbeitete Lebensmittel) werden hier zu Torferde zersetzt. Die kommt wiederum auf das neue Hochbeet, wo eigene Kräuter und Salate angebaut werden. Ein geschlossener Kreislauf also.
Mit Blick auf das Einwegplastikverbot erklärt uns Floris, dass es bereits einige Alternativen auf dem Markt gibt, die beispielsweise aus Hanf oder Schalentieren hergestellt werden. Aber das Angebot und die Hersteller sind begrenzt. Gleichzeitig haben Kunden nicht immer Verständnis dafür, wenn Preise plötzlich hochgehen. Seinem Elan und seiner Motivation können Floris die drastischen Einschränkungen jedoch nichts anhaben, vielmehr sieht er sich dadurch bestärkt weiterzumachen und Lösungen zu finden.
Damit kleine und mittelständische Betriebe gut durch die Krise kommen ist aus Sicht von Floris seitens der Politik vor allem besseres Informationsmanagement notwendig. Viele zentrale Fragen sind für ihn ungeklärt: „Wo fließen wann welche Gelder? In welchem Umfang muss ich zurückbezahlen? Welche Zinssätze werden veranlagt?“. Warum das für HoReCa-Betriebe wichtig ist, erklärt Floris am Beispiel des Kurzarbeitergeldes. Das konnte ab März 2020 beantragt werden, ausgezahlt wurde es jedoch erst 2.5 Monate später. FLORIS Catering musste zwei Monate in Vorleistung gehen, zu einem Zeitpunkt, an dem das Unternehmen überhaupt keine Einnahmen hatte.
Klare Kommunikation und stufenweises Vorgehen von Politik sind essenziell für die Unternehmen
Fest steht: Nachhaltigkeit ist für unsere Gesprächspartner kein Neuland. Trotz existenzieller Herausforderungen meistern sie den Alltag mit einer „jetzt erst recht“-Mentalität. Und noch etwas haben die drei gemeinsam: sie haben sich nicht vom Gesetzgeber oder Kundenanforderungen überrumpeln lassen. Aus einer Grundüberzeugung heraus setzen sie sich mit Klimaneutralität, Verpackungsminderung und Lebensmittelrettung auseinander. Trotzdem stellt die Politik sie vor Herausforderungen, die es logistisch und finanziell zu meistern gilt. Wichtig ist die Erkenntnis, dass Prozesse wie Mehrwegsysteme nicht von heute auf morgen implementiert werden können. Schon gar nicht nach einem Jahr, in dem es primär darum ging, das Geschäft zu erhalten. Dafür braucht es bei der Umsetzung der neuen Nachhaltigkeitsregulierungen eine flexible Handhabung und starke staatliche Unterstützung – sowohl finanziell als auch strukturell.
*** "Nie war mehr Anfang als jetzt". Zitat von Walt Whitman aus "Song of Myself, 3". Übersetzt aus dem Englischen "There was never any more inception than there is now." ***